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Kommt der digitale Produktpass auch in der Schweiz?

In der Europäischen Union soll der digitale Produktpass Bürokratie abbauen, die Kreislaufwirtschaft stärken und die Marktüberwachung erleichtern. Für die Schweiz stellt sich die Frage, wie sie damit umgehen will.
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Mit dem digitalen Produktpass der EU sind die vielen Etiketten an der Jeans vielleicht bald Vergangenheit. (Bild: Keystone)

Sie kennen das bestimmt: In Kleidungsstücken sind heutzutage so viele Zettelchen eingenäht, dass es überall zwickt und kratzt. Und bevor man die Kaffeemaschine in Betrieb nehmen kann, muss man sich durch ein Buch von Installationshinweisen in mehreren Sprachen kämpfen. Damit soll in der EU Schluss sein: Ab 2027 kommt der digitale Produktpass (siehe Abbildung).

QR-Code statt Gebrauchsanweisung

Künftig wird ein Datenträger direkt auf dem Produkt angebracht – zum Beispiel ein QR-Code. Konsumentinnen und Konsumenten werden also beim Einkaufsbummel ihr Smartphone zücken, den Code scannen und so Gebrauchsanweisungen, aber auch weiterführende Informationen zum CO2-Fussabdruck des Produkts, zu Inhaltsstoffen und Recyclingmöglichkeiten erhalten.

Der digitale Produktpass bringt nicht nur Änderungen für Konsumentinnen und Konsumenten, sondern auch für Unternehmen. Diese erfassen, speichern und teilen die Daten neu entlang der Wertschöpfungskette und über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts. Dabei bieten private Digitalproduktpass-Dienstleister Lösungen an, über welche die Daten verarbeitet und zur Verfügung gestellt werden. Die Daten bleiben somit dezentral bei Privaten gespeichert, zum Beispiel auf deren Websites. Um Geschäftsgeheimnisse zu schützen, erhalten auf gewisse Daten nur von der EU zertifizierte Recyclingfirmen und Marktüberwachungsbehörden Zugriff.

Langfristig will die EU-Kommission laut ihrer neuen Strategie für einen einfacheren EU-Binnenmarkt den digitalen Produktpass in praktisch allen Produktbereichen einführen, um die Unternehmen mit verstärkter Digitalisierung administrativ zu entlasten. In den kommenden Jahren kommt er bereits für Batterien, Bauprodukte, Reinigungsmittel, Spielzeug, Stahl, Aluminium, Textilien, Möbel, Reifen und Matratzen. Er wird zum Behälter für Konformitätsnachweise und Gebrauchsanleitungen, die die Unternehmen gemäss EU-Omnibus-Paket IV künftig nur noch digital zur Verfügung stellen müssen.

Kennzahlen zum digitalen Produktpass

Quelle: Eigene Darstellung der Autorin basierend auf Bauen Digital Schweiz (2024) / BFE (2025) / Europäische Kommission (2022) / Quantis (2024) / Spielwaren Verband Schweiz / Die Volkswirtschaft

Vorschriften gelten auch für Schweizer Exportunternehmen

Künftig müssen Schweizer Unternehmen bei Produkten, die sie in die EU exportieren wollen, auch mehr für die Kreislaufwirtschaft relevante Daten digital zur Verfügung stellen. Gerade bei zusammengesetzten Produkten wie Batterien oder Bauprodukten ist dies aufwendig. Umso wichtiger sind effiziente technische Lösungen. Die europäischen Normen für das digitale Produktpass-System werden bis Ende 2025 erarbeitet. Schweizer Unternehmen bringen sich aktiv in diesen Prozess ein, denn die technischen Lösungen müssen auch gewährleisten, dass es nicht zu neuen Handelshemmnissen für Unternehmen ausserhalb der EU kommt.

Wer den digitalen Produktpass der EU erstellen oder Daten eingeben und aktualisieren darf, wird die EU-Kommission voraussichtlich 2026 in sogenannten delegierten Rechtsakten regeln. Neben einem dezentral organisierten Produktpass-System wird es auch ein Produktpass-Register geben, in dem gewisse Daten zusätzlich zentral bei der EU-Kommission gespeichert werden, damit die EU-Zollbehörden die Echtheit der Produktpässe vor dem Import überprüfen können. Für Drittstaaten könnten neue Handelshemmnisse entstehen, falls Hersteller ohne Sitz in der EU ihre Produktpässe nicht selbst registrieren können und die Daten dafür einem in der EU niedergelassenen Wirtschaftsakteur schicken müssen. Das ist mit Kosten verbunden. Auch müssen EU-Importeure künftig ihre Adresse sowohl auf dem Produkt als auch im digitalen Produktpass angeben.

Und die Schweiz?

Wie soll die Schweiz damit umgehen? Soll sie ebenfalls ein digitales Produktpass-System einführen? Zwei Produktbereiche – Bauprodukte und Spielzeug – fallen unter das Abkommen mit der EU über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA). Bei Bauprodukten und Spielzeug hat die Schweiz bislang Vorschriften, die jenen der EU entsprechen. Aufgrund des MRA haben Schweizer Unternehmen den gleichen Zugang zum EU-Binnenmarkt wie die Konkurrenz aus der EU. Schweizer Hersteller sollten über das MRA einen direkten Zugang zum Produktpass-Register erhalten und Schweizer Recyclingfirmen und Marktüberwachungsbehörden geschützte Informationen einsehen können. Auch die Adresse des Importeurs bräuchte es mit dem MRA nicht. Voraussetzung für diese Handelserleichterungen wäre aber, dass die Schweiz für Bauprodukte und Spielzeug ebenfalls einen digitalen Produktpass einführt. Ausserhalb der MRA-Bereiche hat die Schweiz hingegen keine entsprechende völkerrechtliche Verpflichtung.

Klar ist: Digitale Lösungen werden im Zeitalter des Onlinehandels immer wichtiger. Sie schaffen Transparenz und ermöglichen eine bessere Rückverfolgbarkeit entlang der Wertschöpfungskette. Da Nachweise und technische Unterlagen jederzeit digital zur Verfügung stehen müssen, kann die Marktüberwachung gezielter gegenüber Onlineplattformen vorgehen, die Schweizer Vorgaben nicht einhalten. Unternehmen können Produktinformationen einfacher vornehmen und den Nachweis der Einhaltung von Produktvorschriften effizienter erbringen. Konsumentinnen und Konsumenten können dank der Transparenz fundiertere Kaufentscheidungen treffen. Informationen zu Materialzusammensetzung und Verwertungsmöglichkeiten erleichtern zudem die Wiederaufbereitung und die Reparatur von Produkten, stärken so die Kreislaufwirtschaft und begünstigen nachhaltige Innovationen. Aber was ist mit dem Handwerker, der sein Produkt auf dem lokalen Markt verkauft? Ist es in diesem Fall nicht etwas übertrieben, einen digitalen Produktpass zu fordern?

Die Vor- und Nachteile des digitalen Produktpasses werden nun in einer Regulierungsfolgenabschätzung beurteilt. Darauf basierend können Überlegungen zur allfälligen Einführung eines Produktpass-Systems in der Schweiz vorgenommen werden. Welche Daten in einem digitalen Produktpass abgelegt werden müssten, wäre dann in einem nächsten Schritt für jeden Produktbereich separat zu prüfen. Dann zeigt sich, wie sehr uns die Vielzahl der eingenähten Zettelchen in unserer Kleidung schlussendlich juckt und welche Massnahmen für die Schweiz am sinnvollsten sind.


Literaturverzeichnis

Bibliographie

Zitiervorschlag: Wey, Paula (2025). Kommt der digitale Produktpass auch in der Schweiz? Die Volkswirtschaft, 21. Oktober.